Am Reformationstag 2019 feierten die evangelische Pastorin Corinna Schmidt und der katholische BIschof Michael Wüstenberg zusammen auf der Sea-Eye eine ökumenische Andacht.
Hier die Predigt von Bischof Wüstenberg im Wortlaut:
Reflexion auf Apostelgeschichte 27 am Reformationstag 2019, Hamburg, Sea-Eye
Niemand wollte mehr essen; da trat Paulus in ihre Mitte und sagte: Männer, man hätte auf mich hören und von Kreta nicht abfahren sollen, dann wären uns diese Gefahr und dieses Ungemach erspart geblieben.
Doch jetzt ermahne ich euch: Verliert nicht den Mut! Niemand von euch wird sein Leben verlieren, nur das Schiff wird untergehen.
Denn in dieser Nacht ist ein Engel des Gottes, dem ich gehöre und dem ich diene, zu mir gekommen und hat gesagt: Fürchte dich nicht, Paulus! Du musst vor den Kaiser treten. Und siehe, Gott hat dir alle geschenkt, die mit dir fahren.
Wir waren im Ganzen zweihundertsechsundsiebzig Menschen an Bord.
Als es nun Tag wurde, entdeckten sie eine Bucht mit flachem Strand; auf ihn wollten sie, wenn möglich, das Schiff auflaufen lassen; das Land selbst war ihnen unbekannt.
Als sie aber auf eine Sandbank gerieten, strandeten sie mit dem Schiff; der Bug bohrte sich ein und saß unbeweglich fest; das Heck aber begann in der Brandung zu zerbrechen.
Der Hauptmann … befahl, dass zuerst alle, die schwimmen konnten, über Bord springen und das Land erreichen sollten, dann die Übrigen, teils auf Planken, teils auf anderen Schiffstrümmern. So kam es, dass alle ans Land gerettet wurden.
Als wir gerettet waren, erfuhren wir, dass die Insel Malta heißt.
Die Einheimischen erwiesen uns ungewöhnliche Menschenfreundlichkeit; sie zündeten ein Feuer an und holten uns alle zu sich, weil es zu regnen begann und kalt war.
Liebe Leute,
Am heutigen Reformationstag lädt uns Lukas mit diesem Abschnitt der Apostelgeschichte zu Reform oder Konversion ein, denn darum geht es ja der biblischen Botschaft. Schön, dass wir dieses zentrale Anliegen oekumenisch aufgreifen können.
Der Auszug aus dem Text hört sich an wie das Logbuch des Paulus. Seine Reise über das Mittelmeer gestaltet sich als schwierig und abenteuerlich. In der Abstimmung über Route und Zeitpunkt wird Paulus überstimmt. Der falsche Zeitpunkt zum Auslaufen wird genommen, mit fatalen Konsequenzen. Die neue Lage führt nicht zu endlosem Diskutieren und Verurteilen der schlechten Entscheidung. Paulus nimmt vielmehr beherzt die Zukunft in den Blick.
In einer Vision, wie er es beschreibt, wird ihm klar, dass nicht das Schiff, aber die Menschen zu retten sind und gerettet werden. Akribisch notiert er: 276 an Bord. Welche Zuversicht!
Und tatsächlich: Sie sichten eine Bucht in einem unbekannten Land und machen Pläne für eine sanfte Landung. Doch wieder kommt es anders: Sie geraten auf eine Sandbank, eine neue Gefahr taucht auf: das Schiff droht zu zerbrechen.
Eine vom Kommandeur gut geplante Evakuierung rettet allen das Leben.
Endlich auf festen Boden erfahren sie den Namen des Landes: Malta. Und Europas Ruf bekommt einen boost: Den von ungewöhnlicher Gastfreundschaft.
2000 Jahre später könnten Kapitäne ähnliche Logbücher schreiben. Auf der Alan Kurdi in diesem Moment, auf der Sea Watch, den anderen Booten, und auf diesem hier wurden sie geschrieben.
Viele Ursachen könnten genannt werden für die Reise, die Flucht über das Meer. Viele Warnungen kann es geben über die Gefahren. Vielerlei Druck kann dazu führen, allem zum Trotz aufzubrechen.
Und dann die Krisen: mit vielen Menschen überfüllte Boote, Kentern, Ertrinken, zerbröselnde Hoffnung, unsägliche Angst in schreckliche Lager zu kommen, Mütter, die verzweifelt ihre Kinder zu retten versuchen.
Dann Hoffnungszeichen, kein Strand, aber ein Boot mit Helfern, die sich behördlichen Widerständen gegenübersehen; die die Menschen, die sie retten wollen, im Meer versinken sehen, nicht wie Rose auf der Titanic begleitet von Musik, sondern von peitschendem Wind und tosendem Meer pur.
Wieder, wie damals, braucht es den kühlen Kopf der Kapitäninnen, die ihr Handwerk verstehen und die Menschen im Blick haben, für die sie Verantwortung tragen. Damit sie an Land kommen. Mühsam die Verhandlungen, um wenigstens eine hochschwangere in Sicherheit zu bringen.
Ungewöhnliche Gastfreundschaft in Europa: Solche Schiffe wie diese hier, ihre Besatzungen, sie leben sie. Sie retten nicht nur Menschen, sondern was vom Ruf Europas zu retten ist: eine Region, die zu ungewöhnlicher Gastfreundschaft fähig ist.
Inzwischen, anders als bei Paulus, sind auch Christen unter den Europäern, die auch die Geschichte seines Schiffbruchs kennen. Aber es sind, wie damals auch viele andere dabei. Sie haben eine Menschheitsaufgabe übernommen. Danke!
Von Kritik sind sie nicht verschont. Sie würden Schleppern in die Hände arbeiten. Sie würden die Leute erst motivieren. Das kommt mir so vor, als wolle man dem Rettungsdienst in Alarmbereitschaft vorwerfen, zur Motivation von Trunkenheitsfahrten beizutragen, weil die Fahrer sich sicher sein können, gerettet zu werden. So habe ich meine Mitarbeit im Rettungsdienst dieser Hansestadt damals nicht verstanden.
Als afrikanischer Bischof aus Südafrika kann ich sagen, dass in Afrika die vielfältigen Ursachen der Flucht bekannt sind. Und dass sie danach streben, diese Ursachen zu bekämpfen. Die schreckliche Perspektivlosigkeit ist eine davon.
„Armut, Elend, Kriege, Krisen, Chaos: Selten haben sie natürliche Ursachen. Überwiegend werden sie durch menschliche Entscheidungen und durch Leute hervorgerufen, die kein Interesse am Gemeinwohl haben. Oft auch hervorgerufen durch eine tragische Komplizenschaft und kriminelle Konspiration einheimischer Politiker und ausländischer Interessen“ (Synod 2009, #5), haben Bischöfe schon 2009 geklagt.
Solidarität ist gefordert. Allein geht das nicht. Und natürlich ist es schwer, Umstände zu verbessern, wenn viel Korruption herrscht. Manchmal fühlt man sich wie ein Ertrinkender, dem mit Häme nachgewunken wird. Gerade wenn der Finger nur auf die beklagenswerte Korruption in Afrika zeigt.
Es sind ja wirklich auch ausländische Interessen im Spiel, viel Geld, viel Kapital. So, wie es die Bischöfe sagten.
Ich habe das näher in Südafrika beobachten können, wie eine korrupte Regierung mit ausländischen Firmen zusammenarbeitet. Ja man kann wohl sagen, dass eine neue Phase des Kolonialismus darin besteht, dass die Nachfolger der Kolonialherren nun in sogenannten unabhängigen Staaten dafür sorgen, dass Korruption tief verankert wird, nicht zum Wohl der Armen, sondern auf deren Kosten, zum nicht unbeachtlichen Gewinn des Kapitals.
Welche europäischen, deutschen, amerikanischen Firmen signifikant an südafrikanischer Korruption beteiligt sind, kann man einfach googeln. Bell and Pottinger, eine Englische Kommunikationsfirma, hat in dem noch vom Rassismus heilenden Südafrika eine infame Kampagne gestartet und mit dem erfolgreichen Slogan von White Monopoly Capital, weissem Monopolkapital, erfolgreich Rassenhass geschürt. Das gibt es zwar nicht, aber so wurde von dunklen Geschäften abgelenkt. Gott sei Dank ist die Firma in der Folge verschwunden.
Manipulierte Bilanzen, enorme Bestechung von Seiten von Firmen, die man auch im Michaelis Quartier hier findet, gefährden Staaten, die Flügge werden müssen. Gott sei Dank haben Firmen dann auch Konsequenzen gezogen, nachdem sie in korrupten Machenschaften ertappt wurden. Es wäre besser, sie hätten den Schaden gar nicht erst angerichtet. Wie wichtig wäre es, konsequent Ethik in die Ausbildung zu so entscheidenden Wirtschaftszweigen – und nicht nur dort – als Pflichtfach und als Qualifikation einzuführen. Das sei schwer und finde wenig Interesse, sagte mir neulich in der Bahn eine Studentin aus Lüneburg. Könnten Sie, liebe Leute, wenn immer sich Gelegenheit bietet, nicht darauf dringen, den Fächerkanon zu erweitern?
Das wäre ein Schritt zu Konversion zu einer menschenfreundlichen Wirtschaft. Zur Reformation der Welt.
Ein weiterer ist Zusammenarbeit. Ganz konkret erleben wir das ja hier mit Sea Eye und Sea Watch: Sea Watch unterstützt die derzeitige Mission von Sea Eye. Die Menschen stehen im Mittelpunkt. Ihnen dienen die Resourcen. Nicht alle müssen oder können ihr eigenes Boot schicken, aber dass alle fahren können, dafür können alle sorgen.
Natürlich brauchen auch die, die sich hier im Lande am Rande fühlen, angemessene und grosszügige Aufmerksamkeit, die Renter, die Pflegebedürftigen. Als unser Gesundheitsminister nach Mexiko fuhr, um für Pflegeberufe zu werben und zu motivieren, habe ich mich gefragt, ob die Ministerien nicht zusammenarbeiten. Viele Fluchtwillige aus Afrika sind hoch motiviert, sie sind in der Regel sprachbegabt und freundlich. Könnte man denen nicht eine gesicherte und geregelte Einreise ermöglichen? Sie haben bereits Reisedruck. Wenn Sie in einer zuständigen Behörde arbeiten, sprechen Sie doch mal drüber. Wenn es Sinn macht, vielleicht bekommen Sie sogar einen Bonus für Verbesserungsvorschläge.
In den 90er Jahre hatte das Museum für Hamburgische Geschichte eine Ausstellung zu Seeräubern. Klaus Störtebeker hatte mich schon immer interessiert. Da fand ich den Hinweis, dass bei den Seeräubern Seelsorger mitfuhren. Und die „Oldenburger Schriften zur Geschichtswissenschaft“ zeigen, dass die Hanse auf ihren Handelschiffen Schiffsseelsorger dabei hatte – wohlgemerkt, nicht auf Kreuzfahrtschiffen.
Vielleicht wäre das ja etwas – nicht nur für die Küstenkirchen – den Teams auf diesen schwimmenden Orten ungewöhnlicher Menschenfreundlichkeit Seelsorger mitzugeben, die ja eh Nachfolger von Menschenfischern sind. Gemeinsam die kostbare Fracht der Menschen aufnehmen.
Bei Paulus war die Fracht verloren, die Güter abgeschrieben. Menschen an erste Stelle zu setzen, kostet etwas. Danken möchte ich deshalb all den Nationen, die es sich etwas kosten lassen, Millionen Flüchtende aufzunehmen: Die Türkei, Uganda, Libanon, Jordanien, Äthiopien. Sie stehen ganz oben, dicht gefolgt von Deutschland.
Wenn jemand sich um Kosten sorgen macht: Das war nicht die Kalkulation bei der Aufnahme von Ostpreussen und Schlesiern nach dem zweiten Weltkrieg. Und, wenn es um die vielfältigen Flüchtlings-Ströme geht: Nach dem Verursacherprinzip denke ich, dass vor allem England und die USA, Bush und Blair, die Folgekosten für die Ergebnisse ihres Lügenkrieges zahlen sollten. Ob sie das müssten, das könnte der Internationale Gerichtshof in Den Haag klären. Gerichte sind ja Teil unserer Kultur um offen stehende Fragen zu klären.
Am heutigen Tag kann ich das ruhig sagen: Sola Gratia, Gnade allein. Das wird hier, auf diesem Schiff hier bezeugt und da, wo Flüchtende Aufnahme finden. Reines Geschenk, kein Handel, keine Erwartung auf Rückzahlung. Gnade als Lebensprinzip. Das wird hier gelebt. Dem Moses wurde gesagt, der Boden auf dem Du stehst ist heiliger Boden. Der Boden, das Schiffsdeck, auf dem wir heute stehen, ist heiliger Boden.
In angewandter Gnade hindern uns keine Lehrunterschiede. Dies ist Oekumene der aufmerksamen Barmherzigkeit.
Ich habe mich gefragt, warum Paulus so breit über seinen Schiffbruch berichtet hat. Sein Logbuch ist nun ein Text der Bibel. Sola Scriptura: Allein die Schrift. Vielleicht wollte er sein ganz konkretes Drama als komplexen Erfahrungshintergrund bieten, wie Menschlichkeit im Geiste Gottes sich zeigt, wie in Widrigkeiten die Grösse von Menschen aufscheint. Ich hoffe auf grosse Menschen, nicht nur hier in Hamburg und unter seinen Besuchern. Ein Europa, wie Paulus es erfuhr: ungewöhnliche Menschenfreundlichkeit als Markenzeichen. Danke.